BURGBERNHEIM — Vom 13. bis 16. April des letzten Kriegsjahrs 1945 war Burgbernheim und das umliegende Gebiet Kampfgebiet. Einheiten eines schweren Gebirgsjägerregiments aus Innsbruck, die im Bereich der Hauptkampflinie entlang der Bahnlinie Treuchtlingen—Würzburg in Stellung gegangen waren, unternahmen den Versuch, die mit Macht vordringenden US-Streitkräfte am Überqueren der Frankenhöhe zu hindern. Der Vormarsch der amerikanischen Truppen in diesem Frontabschnitt wurde lediglich vier Tage lang unterbrochen. Für diese sinnlose Verzögerung mußten jedoch einige Menschen mit dem Leben bezahlen.
Nachdem die Waffen schwiegen und wieder Ruhe eingekehrt war, machten sich die Amerikaner Gedanken, wie die besetzten Gebiete am zweckmäßigsten verwaltet werden könnten. Deshalb ordnete der amerikanische Ortskommandant am Dienstag, 17. April an, daß sich der Bürgermeister des Markts Burgbernheim umgehend im Rathaus einzufinden habe. Da sich Bürgermeister Hans Lehnbeuter aber zu diesem Zeitpunkt noch im benachbarten Schwebheim befand, wo ihn die Amerikaner einige Tage in einem Bauernhaus festgesetzt hatten, um ihn zu verhören, verlangte der US-Offizier nach zweitem Bürgermeister Düll. Der aber lehnte eine Übernahme der Amtsgeschäfte strikt ab und erklärte, nachdem das nationalsozialistische Regierungssystem auch in Burgbernheim aufgehört habe zu existieren, fühle er sich nicht mehr an seinen Amtseid gebunden.
Der Bürgermeister blieb zunächst im Amt
Da Düll weder durch Drohungen noch durch gute Worte zur Übernahme der Amtsgeschäfte bewegt werden konnte, wurde schließlich der geschäftsleitende Beamte, Oberinspektor Karl Sigg, herbeizitiert. Der Gemeindebeamte erklärte sich sofort bereit, seine Arbeit wieder aufzunehmen und gleichzeitig die Obliegenheiten des Bürgermeisters zu versehen. Aber wider Erwarten brachten die Amerikaner Bürgermeister Lehnbeuter noch am selben Tag mit einem Panzer zurück und gestatteten ihm, sein Amt bis auf weiteres auszuüben. Dies war ein ungewöhnliches Vorgehen der Besatzungstruppen, denn Lehnbeuter war zugleich Ortsgruppenleiter der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP), alter Parteigenosse und Ehrenzeichenträger gewesen. Andere Ortsgruppenleiter, die den Siegern in die Hände fielen, wurden in Gewahrsam genommen und umgehend in ein Internierungslager abtransportiert. Offensichtlich honorierten die verantwortlichen amerikanischen Offiziere das von Vernunft diktierte Verhalten, das der Bürgermeister kurz vor dem Einmarsch der US-Einheiten an den Tag gelegt hatte.
Lehnbeuter hatte die Einwohner bei einer von ihm einberufenen Versammlung unter freiem Himmel aufgefordert, den anrückenden US-Truppen keinen Widerstand zu leisten. Den Befehl von höherer Stelle, Panzersperren und Schützenlöcher anzulegen, hatte er geschickt umgangen. Ferner verstand es der Bürgermeister, deutsche Truppenteile, die den Ort verteidigen sollten, zum Abzug zu bewegen. Auf diese Weise hatte er dazu beigetragen, sinnloses Blutvergießen auf beiden Seiten zu vermeiden.
Da das Rathaus der US-Armee als Kommandozentrale diente, wich die Gemeindeverwaltung für einige Zeit in den Saal des Herrenkellerschulhauses aus. Da das Standesamtsregister im Rathaus verbleiben mußte, konnten standesamtliche Eintragungen nur provisorisch vorgenommen werden. Alle Archivalien, Akten, Schriftstücke und Urkunden wurden sichergestellt, um Belastungsmaterial gegen die Nationalsozialisten zusammenzutragen. Für die Vernichtung derartiger Dokumente wurden drakonische Strafen angedroht.
Was den zivilen Sektor betraf, war der amerikanische Ortskommandant in erster Linie um die öffentliche Ruhe und Sicherheit besorgt, in zweiter Linie um die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrung und Kleidung. Die Mühlen mußten wieder arbeiten, aus Windsheim lieferte man aus Sole hergestelltes Salz an und schließlich wurde ein Fahr- und Kurierdienst eingerichtet. Bahn und Post hatten den Betrieb eingestellt und das Telefonnetz war tot.
Ausländer mußten verköstigt werden
In besonderer Weise nahmen die Amerikaner die von ihnen befreiten ausländischen Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen in ihre Obhut. Sie brauchten nicht mehr zu arbeiten, hatten aber laut Anordnung der Besatzungsmacht Anspruch auf kostenlose Verpflegung. Von ihren früheren Arbeitgebern forderten sie nicht nur Lebensmittel, sondern auch Genußmittel — vor allen Dingen Schnaps. Die Gemeinde selbst mußte einige dieser „Displaced persons" über einen längeren Zeitraum täglich im Gasthof „Hirschen" verköstigen.
Zum Mißvergnügen der Burgbernheimer, die sich manche Schmähung, Hohn und Spott gefallen lassen mußten, standen die Ausländer tagsüber häufig in Grüppchen auf den Straßen und Plätzen im Ortszentrum beisammen. Zu Übergriffen kam es nicht. Einige der Ausländer, die auf Rache sannen, steckten dem Ortskommandanten die Namen von Einheimischen, die ihren Unmut besonders erregt hatten oder ihnen in irgendeiner Weise einmal zu nahe getreten waren. Daraufhin wurden der Feldflurer Hans Schneider und der Bauer Karl Thorwart festgenommen und unter Bewachung mit einen Armeefahrzeug in ein Gefangenenlager in der Pfalz transportiert.
Auch in der ehemaligen Uhrenfabrik an der Steinacher Straße waren viele Ausländer, insbesondere Mädchen und junge Frauen aus Rußland und Polen, von den braunen Machthabern zwangsweise als Arbeitskräfte eingesetzt. Nach ihrer Befreiung wohnten sie noch einige Zeit in den Räumen der Fabrik. Nach und nach wurden die Verschleppten und Kriegsgefangenen in ihre Heimatländer zurückgeführt. Manche nahmen mit Tränen in den Augen von ihren Arbeitgebern Abschied.
Die Amerikaner erließen Sperrzeiten
Alle während des Einmarsches der US-Streitkräfte in Burgbernheim weilenden deutschen Soldaten (Urlauber, Kranke oder Verwundete), die keinen gültigen Entlassungsschein aus alliierter Kriegsgefangenschaft vorzuweisen hatten, wurden aufgefordert, sich der Besatzungsmacht zu stellen. Einige Wehrmachtsangehörige ohne Entlassungspapiere, die dieser Aufforderung nachkamen, mußten einen Lastwagen besteigen, um anschließend in ein Gefangenenlager abtransportiert zu werden. Für die deutsche Bevölkerung erließen die Amerikaner Sperrzeiten, die mit der Zeit immer mehr verkürzt wurden. Ferner durfte zunächst niemand den Ort ohne Erlaubnis verlassen. Nach einigen Wochen war es dann möglich, sich frei in einem größeren Gebiet zu bewegen.
Ein paar Tage nach der Einnahme von Burgbernheim mußte auf Anordnung des Ortskommandanten eine deutsche Hilfspolizeitruppe aufgestellt werden. Aufgabe der zehn bis 15 Hilfspolizisten war es, für Ruhe und Ordnung zu sorgen und gegen störende Elemente vorzugehen. Als Waffe diente ihnen ein kräftiger Spazierstock mit Eisenspitze. Vorgesetzter der Ordnungshüter, die eine weiße Armbinde mit der Aufschrift „Police" trugen, war ein Obmann.
Als die US-Kampfverbände abgerückt waren, wurde die Gemeindeverwaltung aufgefordert, Unterkünfte für die nachrückenden Etappeneinheiten zu schaffen. Oberinspektor Sigg, vom Quartiermacher im Rang eines Captains nach Unterbringungsmöglichkeiten für einige hundert US-Soldaten befragt, bot diesem drei leerstehende Baracken am oberen Bahnhof an, in denen die Luftwaffeneinheit des nahegelegenen Illesheimer Flugplatzes zuvor Ausrüstungsgegenstände gelagert hatte. In Begleitung des Oberinspektors begab sich der Offizier zum oberen Bahnhof, um die angebotenen Quartiere in Augenschein zu nehmen. Nach einem kurzen Blick auf die Baracken erklärte er: „Das war keine gute Idee, Herr Sigg. In diesen windigen Baracken werden keine amerikanischen Soldaten untergebracht."
Quartiermacher beschlagnahmte Häuser
Da Sigg dem Captain keine weiteren Quartiere anbieten konnte und wollte, nahm dieser die Sache selbst in die Hand. Mit dem Jeep fuhr er langsam durch den Ort, um möglichst große Gebäude ausfindig zu machen. Sein Problem war rasch gelöst. Vor einem Wohnhaus in der Windsheimer Straße [4] stoppte er, ging hinein und teilte den Bewohnern nach einem Blick auf seine Armbanduhr mit: „Dieses Haus ist von der US-Armee beschlagnahmt und muß in einer halben Stunde geräumt sein." Er ließ sich auf keine Diskussion ein, machte auf dem Absatz kehrt, ging zurück zu seinem Jeep und setzte seine Quartiersuche fort. Seine weitere Wahl fiel auf die Gasthäuser „Hirschen", „Goldenes Lamm" und „Weißes Roß" sowie auf die Apotheke und auf ein Wohnhaus am Marktplatz [3]. Nachdem die Bewohner „Hals über Kopf" ausgezogen waren, wurden die Gebäude wochenlang von US-Infanteristen in Beschlag genommen. Die Ausquartierten mußten notdürftig anderweitig untergebracht werden. Auch zwei Schulhäuser und der Kindergarten an der Kapellenbergstraße dienten als Truppenunterkünfte. Auf dem Kapellenberg beim Kriegerdenkmal flatterte während dieser Zeit das amerikanische Sternenbanner im Wind.
Freibad war für Burgbernheimer „Off limits"
Um den Infanteristen während der Sommerzeit Badefreuden zu ermöglichen, befahl der kommandierende Offizier eine Generalüberholung des gemeindeeigenen Freibads. Ehemalige „hundertprozentige" Nationalsozialisten und Kriegsgefangene, die auf der Ipsheimer Burg Hoheneck untergebracht waren, mußten das Becken gründlich reinigen. Anschließend versah Zimmermeister Seufferlein im Auftrag der Marktgemeinde den Boden und die Seitenwände des Beckens mit einem Lattenrost. Für die Burgbernheimer war das Freibad in diesen Tlagen „Off limits". Bürgermeister Lehnbeuter wurde auf Anordnung von Landrat Schadewitz am 5. Mai 1945 seines Amtes enthoben, anschließend verhaftet und in das Amtsgerichtsgefängnis Uffenheim eingeliefert. An seiner Stelle setzte der Landrat den vormaligen Lokalbahnagenten Otto Schinnerer (SPD) als kommissarischen Bürgermeister des Markts Burgbernheim ein. Punkt 12 Uhr betrat Schinnerer in Begleitung des Burgbernheimer Hilfspolizisten Leonhard Pflüger und eines französischen Leutnants (ein ehemaliger Kriegsgefangener, dem man eine leitende Position im neuen Polizeiwesen des Landkreises Uffenheim übertragen hatte) das Dienstzimmer der Kanzlei, wies sich als kommissarischer Amtsnachfolger Lehnbeuters aus, legte diesem den Haftbefehl vor und erklärte ihm, daß er seines Amts enthoben sei. Schinnerer gestattete dem Festgenommenen, sich von seiner Familie verabschieden zu dürfen. Lehnbeuter wurde nach einer Woche Haft wieder auf freien Fuß gesetzt.
NSDAP-Amtsleiter wurden verhaftet
Im Juni 1945 forcierten die Amerikaner ihren Feldzug gegen den Nationalsozialismus und den deutschen Militarismus. Überall im Land nahmen Angehörige des CIC („Counter Intelligence Corps", militärische Abwehrorganisation der USA) die früheren Amtsleiter der NSDAP und deren Gliederungen und angeschlossener Verbände fest. Die Verhafteten wurden in die Internierungslager Moosburg und Hammelburg eingeliefert. Lehnbeuter kehrte 1947 aus dem Internierungslager Hammelburg zu seiner Familie in Burgbernheim zurück. Im Rahmen von Spruchkammerverhandlungen wurde von 1946 bis 1948 die Vergangenheit der Parteigenossen peinlich genau untersucht. Je nachdem, was sich die NSDAP-Mitglieder nachweislich während der Zeit des sogenannten „Dritten Reichs" hatten zuschulden kommen lassen beziehungsweise wie sie sich gegenüber Mitbürgern, Zwangsarbeitern, Kriegsgefangenen oder Menschen jüdischen Glaubens verhalten hatten, fielen die Eingruppierungsurteile der Kammer aus. Von den ehemaligen Burgbernheimer Nationalsozialisten kam keiner in die Gruppe der Belasteten oder Hauptschuldigen. Auch Lehnbeuter erfuhr eine milde Behandlung. Die Spruchkammer reihte ihn in die Gruppe III der Minderbelasteten ein. Auszug aus seinem Spruchkammerurteil: „Der Betroffene war ohne Zweifel ein überzeugter Nazi, der aus irregeleitetem Idealismus gutgläubig und willig die Gewaltherrschaft des Nazismus unterstützte. Er war aber in keiner Weise ein Nutznießer und seine Gesamtpersönlichkeit läßt die üblen Eigenschaften des rohen und brutalen Nationalsozialisten vermissen."
HANS DIETHER HILDENSTEIN
Die Originalberichte können hier heruntergeladen werden:
Bericht des damaligen Bürgermeisters Hans Lehnbeuter (PDF, 8 Seiten)
Bericht des damaligen Verwaltungsbeamten Oberinspektor Karl Sigg (PDF, 9 Seiten)
Bericht des Oberinspektor Karl Sigg über seinen Rundgang am 25. April 1945 (PDF, 5 Seiten)