Im Mitteilungsblatt der Stadt Burgbernheim Nr. 41 wurde
über die Ereignisse im April 1945 berichtet, erstmals unter Einbeziehung
persönlicher Erinnerungen noch lebender Augenzeugen. Der Aufforderung, eigene
Erinnerungen mitzuteilen, kommen wir hiermit nach. Es sind die in unserer
Familie überlieferten gemeinsamen
In seinem 1951 niedergeschriebenen
Bericht erwähnt Bürgermeister
Lehnbeuter eine von ihm einberufene Versammlung auf dem Marktplatz am Abend des
Ostersonntags, 2. April 1945, bei welcher er Verhaltensmaßnahmen für die zu
erwartenden Kampfhandlungen erteilte. U.a. sollte die Bevölkerung, aufgeteilt
nach Ortsvierteln, in folgenden vier Felsenkellern Schutz suchen: Henningers-
und Fischerskeller (südlich der Steige), sowie Langskeller und dem
danebengelegenen Obstlagerkeller. Wie er schreibt, gab es nur einen Gegenruf.
Zeugen erinnern sich, dass dieser von einer jungen Frau kam, die vehement
forderte, Burgbernheim müsse auf jeden Fall verteidigt werden.
In Erwartung eines ersten amerikanischen Angriffs trieb uns
jugendliche Neugier am Freitag, den 13.4.45 kurz vor Mittag auf den
Kapellenberg. Ein auf Beobachtungsposten liegender deutscher Soldat ließ uns
durch das Fernrohr schauen. Vor dem Irrsberg (der bewaldete Hügel vor
Schwebheim, auch Ersberg genannt) sahen wir, wie sich die amerikanischen Panzer
zum Angriff formierten. Als dort Mündungsfeuer aufblitzte und die ersten
Geschosse über unsere Köpfe Richtung Frankenhöhe flogen, rannten wir nach Hause.
Ein Tiefflieger flog feuernd dicht über die Dächer, auf die Geschosshülsen
niederprasselten. Wie wir erfuhren, galt der Angriff einem LKW in der Nähe des
Transformatorhauses an der Windsheimer Straße.
Am Nachmittag schlug vor der Molkerei (heute Blumenhaus
Klein), etwa 70 Meter von unserem Haus (heute Bäckerei Mützel) entfernt, eine
Granate ein, von deren Splitter der in der Nähe stehende Landwirt Friedrich
Wirth tödlich getroffen wurde. Der Arzt Dr. Hans Wald und Sanitätskolonnenführer
Georg Kramer konnten nicht mehr helfen. Die Granate kam vermutlich von einem
deutschen Granatwerfer und galt dem motorisierten amerikanischen Stoßtrupp, der
kurz darauf die Windsheimer Straße hereinkam. Langsam fuhren sie, nach allen
Seiten sichernd, dicht an unserem Haus vorbei. Auf dem vordersten Spähwagen saß
kreidebleich, eine Gewehrmündung im Rücken, unser Nachbar, der Schmied Michael
Eckert, den die Amerikaner am Ortseingang gefangen genommen hatten, um ihnen das
Rathaus zu zeigen. Auch ein deutscher Soldat saß darauf. Deren Festnahme dürfte
die Amerikaner aufgehalten haben, so dass sie dem Beschuss entgingen. Mit
Bürgermeister Lehnbeuter, den sie vor seinem Wohnhaus festgenommen hatten, zogen
sie sich nach Schwebheim zurück.
Am Abend suchten wir – unsere Mutter, wir drei Geschwister,
sowie das 16jährige Pflichtjahrmädchen Lotte (Vater war seit langem vermisst)
den Henninger’schen Felsenkeller (den hinteren südlich der Steige) auf. Dieser
diente auch als Kompaniegefechtsstand der kurz vorher angekommenen
österreichischen Gebirgsjäger, die die Amerikaner vor der Frankenhöhe aufhalten
sollten. Weil sich Soldaten im Eingangsbereich ausruhten, wurde eine
Burgbernheimerin hysterisch: „Die müssen hinaus, sonst werden wir alle
erschossen.“ Sie wurde überstimmt. Von der Decke tropfte das Wasser. Draußen
wurde immer wieder hin und her geschossen. Die von einem Geschoss verursachte
Druckwelle ließ die Karbidlampe erlöschen.
Zwei Nächte verbrachten wir im Felsenkeller. Nachdem sich
die Amerikaner auch nach einem zweiten Vorstoß wieder zurückgezogen hatten,
wollte man sich am Tag zuhause umsehen. Das war mit einem mulmigen Gefühl
verbunden. Schreinermeister Beyer (Grüne Baumgasse 2), der im Keller das Sagen
hatte, wollte, dass eine Frau mit Kinderwagen die Kolonne der Rückkehrer
anführt. Man setzte auf ritterliches Verhalten der Amerikaner. (Sein 14 Jahre
alter Nachbarjunge Gottfried Winkler stand Beyer als „Adjutant“ bzw. Laufbursche
zur Seite. Dieser erinnerte sich einige Jahre vor seinem Tod, dass der
Felsenkeller damals insgesamt fünf Nächte als Schutzraum genutzt wurde.) Zuhause
wurde Beyer mit einem amerikanischen Fußtritt empfangen. Als wir die
Bahnunterführung passierten, erfolgte ein Luftangriff auf einen Zug. Aus unserem
Anwesen waren die Amis verschwunden. Eine Fensterscheibe war eingeschlagen, in
der Scheune menschliche Hinterlassenschaften. Ein oben wohnendes altes Ehepaar
aus dem Saarland, das sich geweigert hatte, mit uns den Felsenkeller
aufzusuchen, musste sich während der Hausdurchsuchung am gegenüberliegenden
Postgarten aufstellen. Rückblick: Einige Wochen vorher hatte der Gemeindediener
abends noch „ausgeschellt“, dass am oberen Bahnhof ein Zug mit evakuierten
Saarländern angekommen sei, die untergebracht werden müssen. Wir holten eine
Frau mit zwei Kindern und das alte Ehepaar zu uns. (Von diesem Opa lernten wir
damals Pommes Frites kennen, die bei uns vorher unbekannt waren.)
Die Nacht, als die Amerikaner Burgbernheim endgültig einnahmen, verbrachten wir im trockenen ehemaligen Brauereikeller des sog. „Ratzenhauses“ (frühere Brauerei Ratz, Windsheimerstraße 4). Zwei Amerikaner betraten den Keller und leuchteten mit Taschenlampen jedem ins Gesicht, wobei sie wiederholt zu unserem Bruder Karl zurückkamen, der sich immer kleiner machte. Nachdem eine aus dem Rheinland evakuierte Frau auf Englisch rief „only children“, verschwanden die Amis. Am nächsten Morgen lagen auf der Straße kleine unscheinbare Holzkästchen herum. Karl kannte sie: Es waren hölzerne Tretminen!
Unter der Regie von Lehrer Horn, der Luftschutzwart war,
hatten bereits lange zuvor Schüler alle als Luftschutzräume infrage kommenden
Keller außen mit großen Lettern in weißer Leuchtfarbe mit „LSR“ gekennzeichnet.
Aufgabe der Schüler war auch das Läuten der Kirchenglocken bei Fliegeralarm,
dann sollte man die Keller aufsuchen. Einmal musste eine Beerdigung wegen
Luftalarms unterbrochen werden. Schüler haben auch die Gasmasken verteilt und
die Bevölkerung in den Gebrauch eingewiesen.
An diesem 16. April – das Rathaus war bereits von
Amerikanern besetzt – wurde bekannt gegeben, dass alle Häuser weiß zu beflaggen
seien. Überall wurden Bett- und Tischtücher aus den Fenstern gehängt.
Nach der endgültigen Besetzung befand sich im oben
erwähnten Ratz-Anwesen eine Verpflegungsstelle der Amerikaner mit Küche. Dieses
wie auch andere beschlagnahmte Häuser hatten die Bewohner innerhalb einer halben
Stunde zu räumen (s. Bericht Sigg). Straße und Gehsteig vor dem Haus waren
später für Kinder und Jugendliche eine ergiebige Fundstelle für
Zigarettenkippen, die von den Amis stets mit großzügiger Restlänge weggeworfen
wurden. Gegen Tabak konnte man damals fast alles eintauschen.
Wie Lehnbeuter weiter berichtet, wurde am Morgen des 17.4.
45 angeordnet, dass sich alle Wehrmachtsangehörigen (Urlauber, Verwundete ...)
im Rathaus melden müssen. Es war ein sonniger Frühlingstag. Karl ging mit
Sandalen und leichter Bekleidung durch die Scheune zum Rathaus hinüber. Lotte
kam in die Küche gerannt: „Frau Emmert, der Karl ist schon auf einem LKW, die
kommen alle fort!“ Mutter konnte ihm gerade noch Schuhe zuwerfen. Karl war der
Jüngste von etwa einem Dutzend Burgbernheimern, die unabhängig vom
Gesundheitszustand – er mit Oberschenkeldurchschuss, ein anderer hatte den Arm
in Gips – sofort abtransportiert wurden. Nach Zwischenstation in Buchheim kamen
sie in das berüchtigte Rheinwiesenlager Böhl-Iggelheim in der Pfalz. Hier
mussten sie acht Wochen lang ohne jeden Schutz im Freien kampieren. Karl machte
einen entscheidenden Fehler, als er wahrheitsgemäß als Beruf Bäcker angab, denn
Bauern wurden früher entlassen! Im Juni kam er nach Lothringen, wo er auf den
Feldern Minen und Blindgänger räumen musste. Zusammen mit einem Kameraden gelang
ihm im Februar 1946 die Flucht. Eine saarländische Familie hat sie mit
Zivilkleidern und Geld versorgt, so dass sie mit dem Zug – streckenweise auf dem
Trittbrett – nach Hause fahren konnten. Wie er später erfuhr, war ein weiterer
Kamerad, der sich die Flucht nicht zugetraut hatte, im Lager an Typhus
gestorben.
Elfriede
Edelhäuser, geb. Emmert (damals 14 Jahre).
Karl Emmert (†,
damals 17, war mit Oberschenkeldurchschuss seit Ende März 1945 auf Heimaturlaub.
Um der befürchteten Einberufung zur Waffen-SS zuvorzukommen, hatte er sich
im Herbst 1944 freiwillig zur Luftwaffe gemeldet.)
Hermann Emmert (damals 5).
Anmerkung: Bis in unsere Tage hält sich der Mythos,
Bürgermeister Lehnbeuter habe dem Ort ein schlimmes Schicksal erspart, weil er
mit den Amerikanern verhandelte. In den entscheidenden Tagen (13.-16.4.1945)
hatte dieser als Gefangener der Amerikaner keinerlei Verhandlungsposition. Die
Festlegung der Bahnlinie als Hauptkampflinie war nahe liegend und eine rein
militärische Angelegenheit. Nach der Besetzung blieb Lehnbeuter einige Tage
weiter im Amt und zwar als Befehlsempfänger der Amerikaner, die das Rathaus
besetzt hatten. Dass es nicht zu Zerstörungen kam, lag einzig daran, dass die
wenigen in den Ort eingedrungenen Gebirgsjäger keinen Widerstand leisteten.
Der Internetgemeinde stehen hier Links zu den 1951
erstellten Berichten des Bürgermeisters Lehnbeuter und des Verwaltungsbeamten
Sigg zur Verfügung, von Letzterem auch ein aufschlussreicher Bericht über seinen
Inspektionsgang am 25. April 1945.
In der Umgebung Burgbernheims finden sich noch einige
Relikte aus diesen Tagen. Von einem Fehlwurf auf die Bahnlinie zeugt der
Bombentrichter oberhalb des „Jeslesgrabs“. Ein Blindgänger steckte noch lange
nach Kriegsende im Bahndamm unterhalb des Himmelfahrtsberges. Schützenmulden
sind heute noch oberhalb der Steige und nordwestlich unterhalb der
Schaubergkuppe zu sehen. Auf der bewaldeten Hochebene (520m) westlich oberhalb
der Marktbergeler Steige findet sich eine große Grube, in der vermutlich ein
deutsches Geschütz stand, das über Burgbernheim hinweg Sperrfeuer geschossen
hat.